Memes

Man könnte meinen, Memes seien der Endgegner für einen Autisten: kontextbezogene Bilder, deren alltagskomischer, humoristischer Bedeutungsinhalt meist mit einem Gesichtsausdruck übermittelt wird. Wenn man aber als Autist jahrelang durch die Welt geht, lernt man die ungefähren Grundlagen und einige Gesichtsausdrücke oder wiederkehrende zwischenmenschliche Situationen kennen, oder auch die Filmszenen, aus denen manche Memes stammen, und mit ihrer Herkunft auch ihre ungefähre Aussage.
Vor rund zwei Monaten habe ich spasseshalber ein paar Memes über das Thema „Autismus“ gemacht. Darunter auch eines für die hier bereits erwähnte Timekeeperin. Ihre Reaktion fiel positiver aus als gedacht. Also setzte ich das Erstellen der Memes fort und sie kam aus dem Lachen nicht mehr heraus. Tatsächlich machte ich bei einem gemeinsamen Treffen einmal nur eine Anspielung auf eines der Memes und als ich mich umdrehte, lag sie vor Lachen auf dem Boden. Zusätzlich begann ich, weitere Memes über die Welt aus autistischer Sicht zu erstellen, da ich bis dato nur wenig Memes dieser Art kannte und damit unzufrieden war, denn tatsächlich ist vielen Autisten Humor per se nicht fremd und Komik ein Element, das wir kennen. Zwei dieser Memes habe ich am Ende des Berichtes eingefügt.
Ich erinnere mich an eines der ersten Bilder, welches die Timekeeperin mir vor anderthalb Jahren geschickt hatte. Es enthielt den Spruch „Dich mag ich, du hast genauso einen an der Klatsche wie ich.“ Zunächst bezog ich den Inhalt auf meinen Humor allein, konnte ich doch nicht ahnen, dass sie schon damals längst erkannt hatte, dass auch ich Autist bin und dieser Satz weit umfassendere Bedeutungen hatte. Jedenfalls erstellte ich Memes über die autistischen Sonderbarkeiten und stelle sie inzwischen auf einer kleinen Instagram-Seite online, auf der sie regelmäßig auf ein interessiertes Publikum treffen. Es macht Spaß, Situationen humoristisch zu beschreiben, die „typisch“ autistisch sind und die viele Autisten so oder so ähnlich kennen. Sätze zum Beispiel, die Autisten oft von Nichtautisten zu hören bekommen, Herausforderungen, denen wir begegnen, Eigenheiten, die Autismus ausmachen oder die Reaktionen der Umwelt darauf.
Die positive Reaktion auf meine Memes von Seiten von Autisten, dass sie sich oft so gut in meinen Memes wiederentdecken, weist für mich auch darauf hin, dass die Diagnose „Autismus“ definitiv zutreffend ist. Weiterhin erlauben sie mir, mich reflektierter zu beobachten, mich auszudrücken, und letzten Endes helfen sie mir damit dabei, mich mit dem Autismus zu identifizieren. Diese Identifikation strebe ich unbedingt an, da ich mich bislang als normaler Mensch ansah und nach über 20 Jahren meiner Existenz als Autist nun, da ich davon erfahren habe, es für unsinnig erachte, genau jetzt den Autismus, die Grundlage meiner Persönlichkeit, dissoziativ zu betrachten. Zudem betrachte ich mich selbst als eine im Leben unteilbare Einheit aus Körper, Geist und gegebenenfalls einer Seele. Eine so tiefgreifende Andersartigkeit wie der Autismus, den ich schon seit frühester Kindheit, seit meiner Geburt habe, die so eng mit mir verflochten ist, ist nicht nur Teil von mir, sondern meine Grundlage.Er prägt auch meinen Humor – und diesen kann ich mit eben jenen Memes reflektorisch externalisieren.

Revision zu Overloads, Meltdowns und Shutdowns (2)

Bereits einmal habe ich meine Kenntnisse zu diesen Phänomenen erweitern können, nun geschah dies wieder. Meine ursprüngliche Beschreibung zu Meltdowns war nicht ganz zutreffend, sie enthielt Elemente des Shutdowns. Grund dafür war, dass diese drei Begriffe Phänomene bezeichnen, die nicht klar gegeneinander abzugrenzen sind, sondern drei Typen von Reaktionen auf die Belastung einer Reizüberlastung, welche direkt ineinander übergehen können. Daher erlebte und erlebe ich auch nicht immer diese Phänomene in der nunmehr auf der Seite (Siehe im Menü im Bereich „Wahrnehmung“ die Seite „Overloads, Meltdowns und Shutdowns“) beschriebenen Reinform, sondern oft auch Mischformen.
Um einen weiteren Punkt einmal aufzugreifen: Was kann man tun, wenn man einen Autisten in einer solchen Situation vor sich hat? Im allgemeinen gilt: zunächst einmal Overload/Meltdown/Shutdown als autistisches Phänomen und Reaktion auf Reize und Stress erkennen.Besonders bei Meltdowns und Shutdowns wird die Ansprechbarkeit des Autisten eher gering sein, daher ist ein umsichtiges Handeln wichtig. Generell gilt: Diese Phänomene können sehr dramatisch von außen aussehen. Wenn ich danach wieder zu mir gekommen bin und es waren währenddessen Menschen um mich herum, waren diese nicht selten sehr blass und sehr verunsichert. Aber jeder Overload, Meltdown und Shutdown geht vorbei, ausnahmslos. Um das zu beschleunigen ist die beste Möglichkeit, eine reizarme Atmosphäre zu schaffen: Das Licht wenn möglich dimmen, Geräusche leise halten, Gespräche leise und in Ruhe führen, sich langsam bewegen und auf keinen Fall den Autisten berühren. Zeige Geduld, auch wenn sich die Situation dennoch nicht innerhalb von ein paar Minuten bessert, manche Meltdowns oder Shutdowns dauern selbst bei günstigen Bedingungen Stunden. Wenn sich die Situation soweit gebessert hat, dass der Autist ansprechbar ist und es ok für ihn ist, beruhigend auf ihn einredenk Keinesfalls Erklärungen fordern oder Kritik üben, sondern in Ruhe aus der Situation heraus begleiten.
Wenn ich hier von „dem Autisten“ schreibe, dann gehe ich von dem „DIN-081/5-Autisten“, abgeleitet auf meinen Recherchen unter den Beschreibungen anderer Autisten und von mir aus. Da jeder Autist jedoch individuell ist, empfehle ich dir, falls du einen Autisten kennst, dich persönlich mit ihm zu unterhalten.

Kultur des Autismus. Ein Aufsatz.

Gibt es eine Kultur des Autismus? Diese Frage warf das AutismusJournal vor einigen Tagen auf (https://autismusjournal.wordpress.com/2020/01/25/gibt-es-eine-kultur-des-autismus/). Auch ich habe einen Aufsatz dazu geschrieben und eingereicht (https://autismusjournal.wordpress.com/2020/02/15/replik-gibt-es-eine-kultur-des-autismus/).
Dies hier habe ich geschrieben. In Parenthese: Ich habe diesen Aufsatz in einer Arbeitspause zwischen zwei Blöcken wissenschaftlichen Arbeitens geschrieben und der Ton hat wohl ein wenig abgefärbt. Ich bitte dich daher um Nachsicht.

Gibt es eine „Kultur des Autismus?“, also eine gemeinsame, soziologische Basis? Ich meine: Nein, nicht im Sinne einer ausgeprägten Kultur. Autisten haben unterschiedliche Wertevorstellungen, unterschiedliche Biographien und Prägungen, welche sich in vielen Bereichen zeigen, beispielsweise der Sprache. Manche Autisten bevorzugen scheinbar unordentliche Stadtwohnungen, für andere wäre das Leben in der Stadt eine Quälerei. Auch der Geschmack in Kunst und Musik ist sicher different. Jedoch gibt es Gemeinsamkeiten unter Autisten. Im Folgenden beschreibe ich die von mir beobachteten Gemeinsamkeiten. Damit gehe ich nur begrenzt auf Diagnosekriterien, als auf eine Inside-View ein.

Diese Gemeinsamkeiten entstehen durch das Bewusstsein, in bestimmten Punkten auf konkrete Art anders zu sein. Konstruktivistisch betrachtet, spielt sicher auch das Faktum mit hinein, dass ein einheitliches Signal der Gesellschaft, welche Autismus als Spektrumstörung in den Bereich der Krankheiten einordnet, auch eine homogene Gegenreaktion provoziert. Ich kenne persönlich nicht einen einzigen Autisten, der vom Autismus als Krankheit berichtet, sondern als Andersartigkeit. Aus Sicht eines Autisten ist er ja normal, er kennt sich nicht anders. Und die überwältigende Mehrheit der Probleme, wenn nicht ihre Gesamtheit, entsteht erst in der Interaktion mit der Umwelt. Als Beispiel sei hierfür die Reizüberflutung („Overload“) genannt.

Daher gibt es recht einheitlich die Ansicht: Wir sind anders. Jedoch entwickeln sich bei jedem Autisten ausgehend von diesem Punkt unterschiedliche Tendenzpfade. Während ich mich für die Welt und meine Mitmenschen im Besonderen fasziniere (ähnlich wie Touristen in einem fremden Land), so gibt es auch viele Autisten, die lieber auf Distanz zu der Welt als Gegenstand gehen, der für sie gänzlich unberechenbar ist und wir wissen, dass wir andere Menschen niemals so verstehen oder nachvollziehen können, wie Nichtautisten.

Die meisten Autisten, die ich kenne, identifizieren sich mit dem Autismus. Es ist eine von Geburt an vorhandene, höchstwahrscheinlich genetische Andersartigkeit, um die herum sich eine Persönlichkeit aufbaut. Dies lässt eine Identifikation mit der Basis des eigenen Selbst zu und bedingt Unverständnis, wenn diese Normalität von anderen als „krankhaft“ bezeichnet wird. Ich zitiere eine andere Autistin: „Ich habe ja keinen Autismus. Ich bin Autismus.“ Diese enge Verbundenheit finde ich bei den allermeisten Autisten.
Sie bedingt, zusammen mit den unausweichlichen „clashes“, wo die autistische Natur auf die nichtautistische (von manchen als allistische) Umwelt trifft, ein großes Durchhaltevermögen, welches von außen zuweilen als Verbissenheit oder sogar Sturheit wahrgenommen wird. Ich selbst kenne keinen Autisten, der von seinem Autismus weiß, und dennoch anstrebt, den Autismus zu Gunsten der „durchschnittlichen Normalität“ oder für andere Menschen zu überwinden.

Eine weitere von mir beobachtete Gemeinsamkeit, ist die Kompensation. Autismus wird als Entwicklungsstörung klassifiziert, da die Gefühle auf dem Niveau eines Kindes entwickelt bleiben. Die dadurch unterentwickelten Fähigkeiten, werden oftmals schon allein durch eine (begrenzte) Notwendigkeit der Adaption vom Verstand ausgeglichen. Zumindest soweit möglich. Da Autisten beispielsweise oft die Fähigkeit fehlt, Worte und Paraphrasen nach dem Gefühl auf ihre Metaebenen zu untersuchen (Beispiel: Ist Flucht negativ, positiv oder neutral zu werten? Warum?), drücken sie sich in der Regel sehr direkt, wörtlich und präzise aus. In der „autistic community“, wenn ich sie als solche bezeichnen darf, wird diese Form der Kommunikation sehr geschätzt, da sie einfach, unmissverständlich und effektiv ist, während man damit andere jedoch oft „überfährt“ oder „mit der Tür ins Haus fällt“ (gemäß erhaltener Rückmeldungen).

Spezielle Dialekte, Filmvorlieben oder Religionen kann ich nicht als Gemeinsamkeiten erkennen und führe sie auf die entwickelten Persönlichkeiten, soziale Prägung und Interaktionserfahrungen mit dem Umfeld zurück. Was Autisten generell nervt ist eigentlich das, was ich hier tue: Generalisierung. Darum auch meine Betonung, dass ich hier nicht von allen Autisten und nur aus meiner Sicht berichte, da es eine gefährliche Uniformitätsvorstellung befeuert, die Vorurteilen freie Bahnen schaffen. Und genau diese nerven, da es im besten Falle nur Ausdrücke von fehlerhaften Informationen und Vorstellungen, im schlimmsten Falle Überheblichkeit über dem „behinderten“ Autisten ist oder Arroganz der sich selbst als „normal“ zum „krankhaften“ Autismus abgrenzenden Gesellschaft(steile). Begrüßt wird der offene, informative Diskurs.

Bereits angesprochen habe ich das Bewusstsein um die unausweichlichen „Clashes“ und das daraus resultierende Durchhaltevermögen. Ergänzen möchte ich eine Art von „optimistischem Fatalismus“: Diese Clashes sind unausweichlich, doch die eigene Andersartigkeit gehört zu einem, also gehören diese Clashes zum eigenen Leben dazu. Sie werden i. d. R. nicht per se angestrebt, sondern sind schlicht eine logische Konsequenz und zu einem gewissen Maße sogar Ausdruck von Selbstachtung (ungefähr ähnlich dem jeden Menschen bekannten Streit).

Zusammenfassend gibt es aus meiner Sicht keine ausgeprägte autistische Kultur, jedoch ein von den meisten Autisten geteiltes Mindset und dadurch immer wieder bemerkbare Gleichheiten in Ausdrücken des Bewusstseins, der Identifikation, der Einstellung zu Autismus und Umwelt.

Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass ich diesen Text spontan verfasst habe und er somit nicht als geplante oder gar empirisch überprüfte Arbeit zu werten ist. Eine empirische Studie dazu anzuregen wäre jedoch eine faszinierende Idee.

Noise Cancelling

Wie ich an anderer Stelle, die zu suchen ich gerade ehrlich gesagt zu bequem bin, bereits erwähnte, dient Musik bei mir unter anderem zum Übertönen von stressenden Nebengeräuschen, besonders, wenn ich unterwegs bin. Nun ist geschehen, was mit beachtlicher Regelmäßigkeit einmal pro Jahr geschieht: Meine In-ear-Kopfhörer haben den Geist aufgegeben. Da ich ohne Kopfhörer auf der Straße auf Dauer ziemlich aufgeschmissen bin, habe ich mich sofort nach Ersatz umgesehen. Doch dieses Mal wollte ich zwei Verbesserungen wagen: Zum einen die Anschaffung von Bluetooth-Kopfhörern, da die Vorgänger stets am Kabel kaputt gingen. Zum zweiten wollte ich Noise-cancelling-Kopfhörer ausprobieren. Meine Letzten In-ear-Kopfhörer waren unterdurchschnittlich bei der Geräuschisolation, was mich oft gestört hatte und die bereits erwähnte Timekeeperin (siehe gleichnamigen Bericht) mir solche Kopfhörer empfahl. Allzu billig waren sie nicht, wobei ich auch nicht die besten und teuersten Kopfhörer gewählt hatte. Wert sind sie ihr Geld allemal. Ich habe sie aufgesetzt und war begeistert, wie leise es war – bis ich bemerkte, dass die Noise-cancelling funktion noch nicht einmal aktiviert war. Wenn diese eingeschalten ist und ich vielleicht sogar Musik höre, dann ist das ein Vergleich wie Tag und Nacht bezüglich der alten In-ear-Kopfhörer. Etwas umständlicher in der Handhabe, da sie unflexibler und größer sind, aber sehr viel effektiver. Diese Geräuschunterdrückung sorgt dafür, dass die Belastung für mich bei Aufenthalten auf Straßen und Plätzen um subjektiv mehr als die Hälfte reduziert wurde. Kurioserweise habe ich festgestellt, dass der nahezu geräuschdichte raum zwischen Ohr und Hörer als Resonanzkammer für die Vibrationen des Körpers beim Auftreten funktioniert. Ich höre mich viel deutlicher laufen. Das steht jedoch in keinem Verhältnis zu dem Gewinn durch diese Filterfunktion.
Daher danke ich an dieser Stelle der Timekeeperin für ihre Pionierarbeit für mich.

PS: In letzter Zeit kamen nicht allzu viele Berichte öffentlich und leider wird dies möglicherweise wegen einer starken Inanspruchname meiner Aufmerksamkeit und Energie an anderen Stellen bis Ende März noch so verlaufen. Doch ich werde mir Mühe geben, weiterhin Berichte zu schreiben, wann immer ich kann.

Sturkopf

Man sagt Autisten nach, sehr hartnäckig zu sein. Und dies noch nicht einmal zu unrecht, denn Autisten mit Spezialinteresse faszinieren sich sehr für eben jene Interessen und können sich sehr lange damit beschäftigen. Zudem haben Autisten ihre eigenen Vorgehensweisen, Routinen und auch Strategien, um sich im Leben zurecht zu finden. Eigentlich hat und braucht das jeder, doch während Nichtautisten als Menschen zumindest derart homogen sind (gemessen an Autisten), dass sie auf ähnliche bis gleiche Strategien zurück greifen und sehr gut voneinander lernen können, steht man als Autist weit abseits. Vor dem Tod jener Bekannten ist mir dies aufgefallen, da die meiste Unterstützung meiner Freunde bei mir keine signifikante Wirkung zeigte und sich von mir nicht nutz- beziehungsweise anwendbar machen ließ. Mir begann es erst dann, noch vor ihrem Tod, besser zu gehen, als ich mir klar machte, dass ich als Autist andere Probleme in diesem Zusammenhang definiere, die sich für mich anders anfühlen, auf mich anders wirken und ich dementsprechend eigene Strategien brauche, die einerseits über die Lösung der rationalen Probleme hinaus geht, andererseits nicht auf eine derart hoch entwickelte Gefühlswelt abzielt, wie die Unterstützung meiner Freunde vorausgesetzt hat. Ich lernte, dass meine Wahrnehmung, meine Sichtweisen und meine Lösungsstrategien für mich Priorität haben müssen und dass meine Freunde, selbst wenn sie es wollen, nur begrenzt helfen können. Dennoch bin ich für ihre Hilfe und Hilfsversuche dankbar, auch, weil sie ab und zu mir Dinge reflektierten, die mir zwar nicht halfen meine Situation zu verbessern, wohl aber, sie einzuschätzen.
Seit dieser Zeit vertraue ich vermehrt auf mein eigenes Gehirn. Und das mit Erfolg, mein Leben ist in dieser Zeit an manchen Stellen leichter, in anderen deutlich entspannter geworden. Meine alte Strategie, mir bei Problemen möglichst viele Impulse von außen für eine optimale Lösung zu suchen, habe ich ersetzt mit den Impuls von innen, der statistisch gesehen häufiger richtig liegt (im Sinne von: für mich persönlich optimal) und vor allem weit weniger Analyse benötigt und damit weniger Energie verbraucht.
Diese Eigensinnigkeit übernehme ich in weitere Lebensbereiche. Und hier habe ich ein interessantes Phänomen bei anderen Menschen beobachtet: Je eigensinniger mein Vorgehen ausfällt, desto geringer das Verständnis und Teilweise die Akzeptanz für mein Vorgehen begegnet mir. Eigentlich ist das kurios, da es hierbei um mein Leben geht und andere Menschen (Freunde mehr als beispielsweise Kollegen) nur begrenzt davon betroffen sind. Meine Vermutung ist, dass es sich dabei um das gleiche Phänomen handelt, wie wenn mir etwas begegnet, was typisch für Nichtautisten ist. Während ich jedoch entweder versuche, die Logik zu erkennen mit der Legitimation, dass ich mich in einer Welt von mehrheitlich Nichtautisten zurecht finden muss, oder gelernt habe, diese Dinge einfach hinzunehmen, sind Phänomene und Eigensinnigkeiten von Autisten Nichtautisten sehr fremd. Sie kennen oft keine Autisten, oder, und mich wundert es nicht, verstehen sie nicht. Es ist schwierig als Mensch, dessen Welt in Grautönen erscheint (metaphorisch gesprochen), damit klar zu kommen, dass die meisten Menschen Farben sehen können. Stell dir dazu einfach vor, es gäbe hinter Infrarot und Ultraviolett noch weitere Farben und fast jeder, den du kennst, sieht sie täglich, du aber nicht und sie versuchen, dir diese Farben zu erklären. Andererseits ist es auch sicher schwierig, als Farben sehender Mensch sich vorzustellen, wie eine Welt ausschließlich in Grautönen aussähe. Daher kommt es auch in diesen Eigensinnigkeiten zu Fehlannahmen. Passe ich beispielsweise nicht auf, dann wirke ich auf andere Menschen unnahbar, unhöflich, unauthentisch und schlecht gelaunt, was diese mir auch zurück melden. Das liegt jedoch nicht an schlechter Laune oder gar böser Absicht, sondern daran, dass ich mich nicht auf die komplexe Kommunikation und Interaktion der anderen Menschen konzentriere und daher direkt und ungefiltert, meist auch ohne viel Mimik kommuniziere, was etwas mechanisches in sich trägt. Ein anderes Beispiel ist mein Sozialleben. Ich lade praktisch niemals Menschen zu mir ein. Meist nur dann, wenn die Situation es rational begründen lässt, nicht jedoch aus Freundschaft heraus. Dies ist meine Art, mir einen Rückzugsort zu schaffen, in dem ich stets allein sein kann, wenn ich es brauche und an dem ich geschützt vor allen äußeren Einflüssen sein kann. Sicher, im Sinne von völlig entspannt, fühle ich mich jedoch auch dort in der Regel nicht, was aber andere Gründe hat, auf welche ich in diesem bericht nicht näher eingehen möchte. Viel mehr möchte ich verdeutlichen, dass ich nicht deswegen niemals Menschen einlade, weil ich antropophob wäre oder keinen Wert auf die Gesellschaft angenehmer Menschen legen würde, sondern dies ist eine der Eigensinnigkeiten, welche mir als Autist mein Leben erleichtern, die ich daher auch nicht für den ungleich geringeren Wert der sozialen Konformität aufgebe.
Ich bin weiter oben bereits auf die Ausdauer eingegangen, die ein Autist bisweilen an den Tag legt. Eigensinnigkeit zeigen Autisten aber oftmals auch in ihren Entscheidungen. Vor kurzem habe ich eine Gruppenarbeit begonnen, in dern Verlauf sich die Gruppe auflöste. Zuletzt stand ich ohne die Arbeitsergebnisse der vier Kollegen eine gute Woche (von drei Monaten Bearbeitungszeit) vor der Abgabe. So kurz vor dem Ziel stellt die Aufgabe eine Maßnahme dar, die für mich äußerst gut begründet sein muss, da ich nicht bereit bin, einen drei Monate ausgeführten Plan so kurz vor dem Ziel über Bord zu werfen. Ich habe keine Ahnung, was andere Menschen erleben und fühlen würden, wenn sie eine Woche vor dem Finale plötzlich auf sich allein gestellt sind. Ich fragte mich: Kriege ich das hin? Die Antwort: ja. Es wird anstrengend, aber ich kriege es hin. Also setzte ich die Gruppenarbeit alleine fort. Der Erfolg gab mir recht. Es war sehr anstrengend und auch eine angespannte Lage, doch die Geschehnisse von letztem Jahr (siehe oben) waren da deutlich schlimmer. Sie als Maßstab nehmend konnte ich trotz der Anspannung sicher sein, dass ich die Situation unabhängig vom Ausgang des Projektes gut meistern würde.
Nur ein Projekt bleibt bei mir leider auf der Strecke. Dazu folgt aber in einigen Tagen ein eigener Bericht.

Erlebnisse: Silvester 2019/2020

Der Jahreswechsel 19/20 liegt ja nunmehr einige Zeit zurück. Dabei kam es jedoch zu einer kleinen Geschichte, die sehr gut veranschaulicht, wie meine rigide Denkweise funktioniert. Diese ist auf geordnete, geplante, bekannte respektive vertraute Verfahren angewiesen. Silvester 19/20 zeigte, wie die Anwendung dieser Verhaltensweisen für mich mein Silvester vor einem Reinfall bewahrt haben.
Sylvester habe ich meist bei meinem Vater gefeiert. Das strebte ich auch dieses Mal an. Geplant war, dass wir, also mein Vater, meine Stiefmutter, mein Bruder und ich bei Freunden der Familie Silvester feiern. Jedoch musste meine Stiefmutter über Weihnachten ins Krankenhaus, womit diese Planung hinfällig wurde. Es wurden auch keine weiteren Initiativen für eine gemeinschaftliche Planung getroffen, was für mich, der ich seit drei Wochen von diesem Plan ausgegangen bin, äußerst ungünstig und ich wurde immer schlechter gelaunt, je näher Mitternacht an Silvester rückte.
Jedoch kam mir ein Einfall. Ich hatte eine Zeit lang in Bremen autark gelebt und auch dort hatte ich Silvester allein verbracht. Also hatte ich eine Vorlage, was ich tun konnte, einen Plan , auf den ich zurück greifen konnte. In Bremen hatte ich mir damals von der Wilhelm-Kaisen-Brücke aus das Feuerwerk der Großstadt angeschaut und dabei Musik gehört. Danach ging ich nach Hause, briet mir Burger und schaute einen Film. Während letztes Silvester mein Stiefvater meine Stiefmutter besuchte und mein Bruder, der sowieso ziemlich unberührt von den meisten Feierlichkeiten bleibt, zuhause blieb, machte ich mich auf den Weg zu einem lokalen Aussichtsturm. Dieser Turm ist für mich recht speziell, da ich früher oft mit meinem Hund dort vorbei kam, ihn gelegentlich dort anleinte und den Turm bestieg. Auf diese Weise bekam ich meine Höhenangst unter Kontrolle. Von seiner Plattform aus hat man einen wunderbaren Blick auf die umgebenden Gemeinden und an Silvester das Feuerwerk. Es war sehr kalt, aber großartig, das ganze Feuerwerk mit Musik zu beobachten. Nach der Rückkehr schaute ich mit meinem Bruder dann einen Film, ähnlich wie seinerzeit in Bremen. damit hatte Silvester wieder ein bekanntes Muster und ich konnte entspannen und es genießen.
Auch wird daran eine Quelle von Missverständnissen sichtbar. Man könnte meinen, ich hätte meine Stiefmutter wegen mangelnder Verbundenheit nicht besucht. Man könnte auch meinen, dass es mir gut getan hätte, etwas neues auszuprobieren. Tatsächlich wäre beides, da es ungeplant war und nicht in meinem Kopf gefestigt, eine Ursache für Unruhe und für mich belastend. Wenn es Anlass gibt und ich genug Energie habe, eine Herausforderung anzunehmen, dann versuche ich mich sehr gerne an derlei Projekten, neue Dinge und neue Muster zu erkunden. Meistens jedoch nur, wenn ich einen Plan B in Reserve habe, auf den ich mich stützen kann, wenn die Herausforderung zu groß wird, damit ich nicht im Stress und Chaos eines gescheiterten Planes überlade. Wie viele Menschen möchte auch ich nicht, dass mein Silvester zum Negativerlebnis wird. Und da ich ohnehin ein mensch bin, der regelmäßig und gerne an die eigenen Grenzen geht (und diese auch oft übertritt), möchte ich lieber lernen, wie ich überhaupt eine „Komfortzone“ aufbauen und nachhaltig „abschalten“ kann. Ständig an Herausforderungen und Grenzen zu existieren wird nämlich mit der Zeit sehr ermüdend. Alle diese Erfahrungen, auch jene von Silvester, helfen mir dabei, das Wissen und die Erkenntnissse zu sammeln, die ich bewusst oder unbewusst dafür nutzen kann.

Revision zur Empathie

Mein Empathiequotient ist mit einem Wert von 16 vierzehn Punkte unter der Untergrenze des „Normalen“ und damit weit im auffälligen Bereich gemessen worden. Woran liegt das? Die logische Erklärung liegt auf der Hand: Da meine Gefühle weit weniger entwickelt sind, ist es mir nicht möglich, Gefühle oberhalb meines Entwicklungsstandes als solche zu erkennen. Wie ein kleines Kind kommt es auf das „Level“ an, auf die Komplexität der Situation, ob ich die Gefühle meines Gegenübers erkenne. Empfindet er hochentwickelte Gefühle, dann erkenne ich sie kaum. Sind es einfache Gefühle, wie Angst oder prototypische Freude, dann fällt mir das Erkennen wesentlich leichter, als zum Beispiel bei Geborgenheit. Tatsächlich habe ich den Eindruck, am meisten Empathie anderen Autisten entgegen bringen zu können, da ihre Reaktionen auf äußere Einflüsse den meinen logischerweise sehr viel ähnlicher ist, als die von Nichtautisten. Ähnliche Maßstäbe gelten für die „Atmosphäre“, die kollektive Grundstimmung. Ist diese geprägt von hoher Komplexität, dann berührt sie mich nicht. Ist sie geprägt von mir bekannten Effekten wie Anspannung, dann kann ich das merken. So bemerke ich einen Unterschied in der Atmosphäre zwischen Einsätzen und Einsatzpausen, aber selbst wenn ich mich mitten auf Weihnachtsmärkten stehe, verstehe ich nicht, warum die Menschen von einer „Weihnachtsstimmung“ sprechen. Dieser geringe Empathiegrad wird zumeist von meinem Verstand aufgewogen. Wenn mir jemand von Schuldgefühlen berichtet, dann frage ich mich, ob diese Person tatsächlich Verantwortung für ein negatives Ereignis trägt, oder ob dieses Gefühl, wie auch immer es sich anfühlen mag, unbegründet ist.
Ein Paradebeispiel für meine Funktionsweise in diesem Zusammenhang war ein Angriff auf eine schwangere Freundin in meiner Gegenwart im Sommer. Wir befanden uns auf einem größeren Platz, der auch einen Spielplatz umfasste. Als wir diesen gemeinsam verlassen wollten, kreuzte ihr Exfreund unseren Weg, hielt uns auf, sprach sie an. Sein Tonfall wurde immer lauter und aggressiver, er begann, mit den Muskeln zu spielen und auf sie einzudringen. Mir wurde klar, dass die Situation kurz davor war, zu eskalieren und forderte eine der Umstehenden auf, die Polizei zu rufen, was diese auch tat. Mir schossen die Voraussetzungen für Nothilfe durch den Kopf: Gegenwärtiger Angriff, Verhältnismäßigkeit der Mittel. Zu diesem Zeitpunkt wusste er von der Schwangerschaft jener Freundin und ich wusste von seinen Vorstrafen wegen unerlaubten Waffenbesitzes und Körperverletzung. Es geschah, was ich fürchtete: Er griff sich ihren Arm und zerrte sie mit sich. Zu diesem Zeitpunkt spürte ich die enorme Anspannung meiner Freundin und mir war klar, dass das intensive Angst vor jenem Menschen war, mit dem sie zusammengelebt hatte, den sie gut kannte. Es war also mehr als ernst. Das Tierabwehrgerät, eine zweischüssige Distanzwaffe, welche mit konzentriertem Reizmittel geladen war und die ich legal mitführte, hatte keine Ähnlichkeit mit einer Pfefferspraydose. Wahrscheinlich zögerte er deswegen, als ich das Abwehrgerät auf ihn richtete und ihn aufforderte, die Frau loszulassen. Die Entfernung zwischen uns betrug rund vier Meter, verdammt kurz, falls er mich angreifen sollte. Darum zielte ich ihm direkt zwischen die Augen – ich wollte das höchstmögliche Drohpotenzial aufbauen und gleichzeitig bereit sein, mit dem ersten Schuss die größtmögliche Wirkung zu erzielen, falls die Situation außer Kontrolle geraten sollte. Nach einigen Momenten liess er meine Freundin los, ging jedoch auf mich zu. Ich rief „zurück!“ und legte den Zeigefinger auf den Abzug. Noch einen Schritt, dann schieße ich ihm ins Gesicht, entschied ich. Er blieb stehen, redete irgendwas auf mich ein, was ich nicht mehr im Kopf habe und ging etwas nach rechts und links, wie ein Hund, der sich nicht sicher ist, ob er angreifen oder sich zurückziehen sollte, während ich versuchte, eine Möglichkeit zu finden, mit meiner Freundin, welche noch immer dort stand, wo mein Gegner sie losgelassen hatte, in Sicherheit zu gelangen. Am Ende griffen die Umstehenden ein und trennten uns voneinander. Sie trennten meinen Gegner nicht von meiner Freundin, er schlug ihr Auge blau. Mich brüllten sie an, wie ich so etwas machen könnte, es seien Kinder in der Nähe. Sie hielten mich für den Aggressor. Wahrscheinlich hatten sie die Notlage erst bemerkt, als sie mich mit vorgehaltener Waffe vor dem Angreifer stehen sahen. Sie beruhigten sich etwas, als einer von ihnen mir von hinten das Abwehrgerät entriss. Die Polizei war recht bald zur Stelle. Nachdem sie die Lage unter Kontrolle hatten, beruhigte auch ich mich etwas, da ich wusste, wie die Polizei arbeitet und dass nun die Sicherheit von meiner Freundin und mir gewährleistet war. Sie befragten sie und die Zeugen. Paragraph 32 StGB, Nothilfe, bescheinigten sie mir. Ich hatte mich nach dem geltenden Recht verhalten. Der Täter, welcher nicht das Eintreffen der Staatsgewalt abwarten wollte, erhielt die nächste Anzeige, ich eine rettungsdienstliche Begleitung nach Hause – der Stress der unvorbereiteten Gefahrenlage war zu viel für mich gewesen.
Die folgenden zwei Tage ging es mir sehr schlecht. Ich hatte einen Fehler gemacht. Ich hatte gegen meine Werte verstoßen und jemanden bedroht, um ein Haar sogar gefährlich verletzt. Die Tatsache, dass die Situation angespannt war, reichte zur Legitimation vor mir selbst nicht aus, die Verhältnismäßigkeit musste ich feststellen. Nach zwei Tagen erst war der Schock so weit überwunden, dass ich das Geschehene analysieren konnte und zu dem Schluss kam, dass tatsächlich zum Schutz von Leib und Leben einer dritten Person bei einem gegenwärtigen, tätlichen Angriff die Bedrohung nach meinen moralischen Maßstäben verhältnismäßig reagiert hatte. Die Polizei hatte das längst bestätigt. Seither ist die Erinnerung an diesen Vorfall für mich ohne Gefühle, außer der Zufriedenheit über mein Urteilsvermögen, wobei ich zugeben muss, dass ich meine Eigensicherung auch dem Glück der fehlenden Bewaffnung meines Kontrahenten überlassen habe.
Menschen, welchen ich von jenen Geschehnissen erzählt habe, reagierten sehr unterschiedlich. Manche kritisierten mich, mein Handeln hätte die Situation weiter eskaliert. Manche brachten ihre Sorgen zum Ausdruck, da ich mich selbst in Gefahr begeben habe. Andere äußerten Anerkennung für meine Intervention. Welches Urteil du dir jetzt bildest, weiss ich nicht. Ich selbst bin von mir überrascht, wie präzise mein Hirn in dieser untrainierten, unvorbereiteten Situation, ohne größere Erfahrungen funktioniert hat. Ich möchte an dieser Schilderung zwei Dinge verdeutlichen. Erstens den Einfluss der Empathie anhand einer konkreten, hochbrisanten Situation. Zweitens den Vorrang, das Primat meines Verstandesdenkens, besonders in der Rekapitulation, aber auch während spontan entwickelten Hochstresslagen, der mein fehlendes empathisch-emotionales Feingefühl durch harte, rationale Beurteilungen aufwiegt. Drittens jedoch die Kosten dieser Eigenheiten: Massive Probleme, solange ich mir nicht sicher bin, die logisch richtigen und angemessenen Entscheidungen getroffen zu haben, da mir das soziale Gefühl für Werte und Normen teilweise, respektive in der durchschnittlichen Präzision, fehlt.
Als Appendix sei erwähnt, dass der Exfreund noch die nächsten acht Jahre in soliden Räumlichkeiten unter staatlicher Obhut verbringen wird. Ich selbst habe seither nichts mehr mit der Polizei zu tun gehabt. Noch weitaus wichtiger jedoch: jene Freundin hat vor kurzem ihre Tochter zur Welt gebracht.

Liebe

Ich habe eine Zeit lang überlegt, über welches Thema ich meinen einhundertsten Bericht verfassen möchte. Die Liebe schien mir geeignet, ist sie doch eine starke und zentrale Macht, wenn sie in unser Leben tritt. Dabei möchte ich mich im Folgenden nicht mit Sexualität, welche Zweifellos eng mit der Liebe verbunden ist, sondern nur mit der Liebe an sich befassen, da ich fürchte, dass beide Themen den Rahmen eines Berichtes sprengen würden. Bevor ich mit meinem Bericht beginne, möchte ich dir jedoch, lieber Leser, liebe Leserin, ein glückliches Jahr 2020 wünschen, solltest du ihn zeitnah nach seiner Verfassung lesen. In jedem Falle wünsche ich eine interessante Lektüre.
Viele Menschen berichten, aus meiner Sicht, erstaunlich vielfältig über die Liebe. Man bedenke nur all die Lieder, die sich damit befassen. Diese Erzählungen wirken auf mich auch enorm differenziert. Beispielsweise ziehen einige Menschen einen Unterschied zwischen verliebt sein und lieben. Ich erkenne keinen Unterschied. Für mich ist „verliebt“ das Adjektiv zum Verb „lieben“. Zudem wird oft von interessanten Phänomenen bei Verliebten berichtet. Eine Psychologin erzählte mir, dass Verliebte beim Anblick des entsprechenden Gegenübers eine Körperempfindung hätten, die sie als „Schmetterlinge im Bauch“ bezeichnen. Auch würden sich Verliebte oft den gegenseitigen Geruch besonders einprägen. Oft wird Liebe als angenehmen Gefühlszustand beschrieben. Meine Bücher über praktische Psychologie und Hypnose schildern manche Anzeichen, die man an verliebten Menschen feststellen kann: Erhöhter Puls, Erröten (also eine verstärkte Durchblutung), Erweiterung der Pupillen. Insgesamt Zeichen des so genannten sympathischen Nervensystems – der „Fight or Flight“ Modus scheint bei Verliebten hoch aktiv zu sein.
Ob Liebe angenehm ist oder nicht, hängt bei mir simpel von der Antwort auf die Frage ab, ob ich sie ausleben kann. Liebe bedeutet bei mir eine enorm starke Faszination und Sympathie für einen speziellen Menschen. Ich möchte diesen Menschen kennen lernen, vertraue ihm vollkommen, möchte meine Zeit mit ihm verbringen und mein Leben mit ihm teilen und Teil seines Lebens sein. Die praktische Seite dessen habe ich im Bericht „Die Münchnerin“ beschrieben. Wenn ich dies nicht kann, weil diese Person beispielsweise nicht in mich verliebt ist, dann ist dies ein ziemlich unangenehmes Gefühl. Andere Menschen berichten von Liebeskummer. Während gemäß Wikipedia die Phasen des Liebeskummer in für mich erstaunlicher Weise jenen der Trauer entsprechen und ich auch in der Symptomliste Übereinstimmungen finde, empfinde ich diesen Zustand unerfüllter Liebe praktisch ununterscheidbar mit vermissen. Als ich noch nicht wusste, wie sehr ich mich von anderen Menschen unterschied, ärgerte ich mich zuweilen auch, da ich dachte, vielleicht beim Kennenlernen Fehler gemacht zu haben. Ich setzte Die Beziehung in die Position des Zieles, welches ich mit Erfolg oder Misserfolg, jedenfalls nach System und mit Strategie anstrebte. Der erste Teilsatz hat für mich an Bedeutung verloren, da ich inzwischen weiss, dass Liebe, aus meiner Sicht, eine Sache des Zufalls, Gottes, der Fortuna (nicht im mythologischen Sinne), jedenfalls definitiv keine der Verführung oder Anstrengung ist. Der zweite Teilsatz hat dennoch seine Bedeutung behalten, da ich Menschen immer nach dem gleichen Stufenmodell kennen lerne. Anders währe es mir kaum möglich, Beziehungen aufzubauen, da ich sonst nur unberechenbare Individuen vor mir hätte, die nicht zu meine strukturierte Psyche passen. So kann ich, je nach Stufe, eine Person einer inneren Struktur (zum Beispiel „Freundschaft“) zuweisen, oder eine spezielle Struktur erschaffen, was natürlich wesentlich anspruchsvoller ist. Gelingt es mir jedoch und eine Beziehung ist geschaffen, erlebe ich selten Aufregung Gegenwart meiner Partnerin. Höchstens als Element der Vorfreude, sie zu sehen und in natura zu erleben. Stattdessen werde ich oft ruhiger und ausgeglichener, da ich einem Menschen, dem ich uneingeschränkt vertraue, nicht mit eingeschalteten „Sozialprogrammen“ begegnen muss und jede Mimik, Gestik und Aussagen im Auge behalten und auf die Goldwaage legen muss, wie ich es sonst in Gesellschaft oft tue, um mit der sozialen Kompetenz, die oft erwartet wird, so gut ich kann schritt zu halten. Ich kann mich geben, wie ich bin. Ich kann all jene künstlichen Anpassungen fallen lassen und weiss mich dennoch voll und ganz angenommen. Geliebt kann ich mich kaum fühlen. Es gab Momente in meinen Beziehungen, in denen mir deutlich bewusst wurde, was es bedeutet und was Element dessen ist, geliebt zu werden. Zum Beispiel einen Menschen zu haben, dessen Wohl unmittelbar mit dem eigenen Wohl verbunden ist. Diese Momente und diese Lehren sind… bemerkenswerte und erleuchtende Erlebnisse für mich. Daher hoffe ich, diese Erfahrungen zu geeigneter Zeit mit der richtigen Frau wieder machen und erweitern zu dürfen.

Erlebnisse: Friseur

Diesmal nur ein kurzer Bericht. Friseure sind eine von den schwierigeren Seiten meines Lebens. Sie stellen aus zwei Gründen Herausforderungen dar.
Zum einen fassen sie einen überall am Kopf ohne Vorwarnung an. Zumeist jedoch nicht direkt ins Gesicht und wenn ich daraufhin dennoch zurück schrecke, erkläre ich das einfach kurz. Dennoch ist die Kompensation der Berührungen auch nach dem X-ten Friseurbesuch immer ein Energieverbraucher. Daher Regel Nummer 1: Niemals zum Friseur, wenn nicht genug Energiereserven vorhanden sind.
Die zweite Herausforderung ist das Reden. Einige Friseure scheinen bei ihren Kunden die allgemeine Erwartungshaltung nach Smalltalk zu erkennen. Da ich sowieso Smalltalk meist einen untergeordneten Wert zuteile und meine Energie für die Verarbeitung der taktilen Reize benötige, kann und will ich nicht darauf eingehen. Da ich auch immer zu den selben Friseuren gehe (je nach dem, in welcher Stadt ich mich aufhalte), lernen sie dies sehr schnell.Abgesehen davon würde ich mich als recht unkomplizierten Kunden einschätzen, da ich niemals Sonderwünsche und selten Grund für eine Verbesserungsbitte habe.
Was bei mir, wenn wir schon beim Thema sind, jedoch etwas mehr Präzision erfordert, ist die Rasur. Wenn ich mich rasiere, dann muss alles auf Augenmaß zumindest symmetrisch und gerade sein. Wenn ich das nicht schaffe und mitten im Tag merke, dass beispielsweise eine paar Haare meines Bartes doch über die Rasurlinie wachsen, besonders wenn es Haare über den Lippen betrifft, dann kürze ich diese lieber sofort mit einer Schere, weil es mich sonst permanent den Tag über ablenkt und nervt.

Genuss

Beginnen wir mit einem kleinen Brainstorming. Was genießt du? Was bedeutet Genuss für dich? Wenn ich die Menschen das frage, bekomme ich verschiedenste Antworten. Schokolade, ein Buch lesen, sich in eine Decke einkuscheln und eine Serie anschauen, im Urlaub am Strand spazieren gehen, Freunde umarmen und nicht zuletzt Sex. In Teilen kann ich das sehr gut nachvollziehen (besonders bei der Schokolade). Mir fallen drei Dinge ein, wenn ich an das Wort „geniessen“ denke. Das erste ist ein alter Traum von mir, der nicht hier her gehört. Manche Träume sind es wert, im Privaten zu bleiben. bei den beiden übrigen Dingen handelt es sich zum einen um Musik. Manche Musikstücke kann ich hervorragend genießen, wenn ich mich völlig ungestört darauf einlassen kann. Ungestört bedeutet hier, dass ich nichts als die Musik höre, schon das Summen meines PCs kann ausreichen, die Ungestörtheit zu durchbrechen. Wenn aber alles dafür gegeben ist, dann höre ich die Musik und es fühlt sich an, als ob jede Zelle meines Körpers jeden einzelnen Ton reflektieren würde. Sicher bin ich mir nicht, es ist nur eine Theorie, aber für mich gut vorstellen kann, dass die selbe Filterlosigkeit, die sonst dafür sorgt, dass ich durch einen quietschenden Stift (siehe „Erlebnisse: Der Stift“) irritiert werde oder eben jenes Computersummen für mich nicht ausblendbar ist, mir diese Fähigkeit schenkt. Der zweite Punkt sind meine speziellen Interessen. Beispielsweise interessiere ich mich für Luftfahrt. Vor kurzem habe ich ein Video von zwei (in Fliegerkreisen und darüber hinaus) lebenden Legenden gesehen, wie sie einen Überführungsflug in einer Douglas DC-7, einem Klassiker, einem Oldtimer des aufkommenden interkontinentalen Linienfluges in den Fünfzigern, vorbereiteten, durchführten und kommentierten. Es war herrlich, diesen Meistern der Luftfahrt zuzusehen, wie sie dieses alte, noch voll mechanische Maschine aus Blech und Aluminium starteten, die Geräusche der anlaufenden Curtiss-Wright-3350-Doppelsternmotoren, der Anblick des Flugverhaltens der viermotorigen Propellermaschine beim Takeoff. An meinem fünfzehnten Geburtstag schenkte mir mein Stiefvater einen Besuch auf dem Vorfeld des Frankfurter Flughafens. Das war großartig! Solche Dinge kann ich genießen. Ein tolles Modell genauso. Bei all dem bin ich mit meinem ganzen Hirn in meinem Element.